Glaubt man den Berichten und Reportagen in Rundfunk, Fernsehen und Zeitschriften, dann boomen in ganz Deutschland die Gärten. Rund 18 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich für ihren Garten aus und damit soviel wie für Backwaren. Der Garten als Lebensmittel sozusagen. Eine neue Gartenlust habe längst auch (oder vielleicht gerade) die Großstädter und nicht nur ältere Menschen gepackt.

Allerdings sei angemerkt, dass zumindest die traditionellen Kleingärten nie aus den Großstädten verschwunden sind, in den 1970er Jahren allerdings eher als „kleinbürgerlich“ und irgendwie überholt galten. Auch der gute alte „Schulgarten“, in dem wir als Stadtkinder und Grundschüler gebuddelt, Radieschen gesät und geerntet haben, ist keine Erfindung des Urban Gardening, sondern eine Wiederentdeckung, um zu lernen, wo und wie richtige Tomaten wachsen. Schon deshalb ist die „neue Gartenbewegung“ verdienstvoll. Vielleicht auch eine neue Form der Stadtbegrünung? Im rheinland-pfälzischen Andernach am Rhein zum Beispiel baut die Stadt auf ihren Grünflächen statt Blumen nun auch Gemüse an.

So ganz neu ist diese Idee vom Gemüseanbau im öffentlichen Raum ebenfalls nicht. Nur inzwischen ganz anders motiviert als früher. Ein gutes Stück Protest gegen geschmacksfreies Obst und Gemüse aus einer industrialisierten Landwirtschaft steckt heute wohl dahinter.

Nach den beiden Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert dagegen gab es nichts zu essen, die Menschen hungerten. Um ihre Not zu lindern, wurden Kartoffeln und Kohl auf öffentlichen Plätzen angebaut. Wer einen Garten mit Laube besaß, hatte Glück. Als sich nach dem Ersten Weltkrieg durch Inflation und Massenarbeitslosigkeit die sozialen Verhältnisse rapide verschlechterten, bekam der Nutzgarten eine existenzielle Bedeutung.

Ihren Ursprung haben die Kleingärten im England des frühen 18. Jahrhunderts. Dort regelte 1819 ein Gesetz die Verpachtung von Land an Erwerbslose und Arme zwecks Selbstversorgung. Es waren Opfer einer Industrialisierung, in deren Folge die Bevölkerungszahlen in den Städten drastisch gestiegen waren. Die Anlage sogenannter Armengärten auf Initiative wohlmeinender Landesherren, Fabrikbesitzer, Stadtverwaltungen und Wohlfahrtsorganisationen sollte das allgemeine Problem der Verelendung großer Bevölkerungsteile lösen helfen.

Zu den ersten Armengartenanlagen in Deutschland zählen die parzellierten Gärten, die auf Anregung des Landgrafen Carl von Hessen um 1806 in Kappeln an der Schlei angelegt wurden. Eine andere Entwicklungslinie des Kleingartens ist mit dem Leipziger Arzt Moritz Schreber verbunden, der nicht Erfinder, sondern ein Mitstreiter der nach ihm benannten Schrebergartenbewegung war. Der von Schuldirektor Ernst Innozenz Hauschild initiierte Schrebergarten bestand ursprünglich aus einem Platz mit Spielwiese, auf dem Leipziger Arbeiterkinder unter Betreuung eines Pädagogen spielen und turnen konnten. Erst ein Lehrer namens Heinrich Karl Gesell legte später Gärten auf dem Platz an.

Heute erfreuen sich bundesweit Pächter aller Bevölkerungsgruppen in nationaler Vielfalt eines Kleingartens. In Wiesbaden gibt es 47 Kleingartenvereine mit insgesamt 3708 Kleingärtnern sowie 1700 Pächter städtischer Freizeitgärten.

 

Quelle:

Auszüge eines Artikels von Marianne Kreikenbom
im Wiesbadener Tagblatt

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